Annahme verweigert:

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ beginnt Martin Schulz eine Mitteilung, die er vor ein, zwei Tagen in diversen Tageszeitungen zwecks Wahlkampf und „Zeit für mehr Gerechtigkeit. SPD“ wohl an Mitleserinnen und Mitleser richtete. Ob er seine Parteitagsreden startet, indem er seine „Mitgenossinnen und Mitgenossen“ begrüßt?

Nach dem Einstieg in seinen handschriftlichen, einseitigen Brief versichert mir Herr Schulz, es gehe nicht um ihn (obwohl er am Ende der Seite seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, er könne ja Bundeskanzler werden), sondern um „unser“ Land. Deshalb garantiere er mir, dass er über vier Dinge nicht mit sich verhandeln lasse: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, bessere Schulen und kostenlose Kitaplätze, sichere Renten und stabile Beiträge, mehr Zusammenhalt in Europa. Wer da mit ihm warum verhandeln soll, erklärt er mir hingegen nicht. Wer genau diese Dinge nicht will, die Herr Schulz für nicht verhandelbar hält – auch da Fehlanzeige. Gibt es denn in „unserem Land“ tatsächlich jemanden, der für „schlechtere Schulen“ oder „unsichere Renten“ plädiert?

Selbstverständlich konnte in den paar Zeilen Wahlkampf-Rhetorik auch nicht dargestellt werden, wie denn die diversen Dinge in seinem Sinne zu regeln wären. Alle per Gesetz verpflichten, sich in Europa lieb zu haben? Was ist eine „sichere Rente“? Ein bestimmter Betrag? Dass überhaupt irgendein Betrag ausgezahlt wird? Und wie wird das finanziert? Überhaupt Finanzierung: Nur weil Martin Schulz findet, Kitaplätze sollten kostenlos sein – sie kosten trotzdem. Irgendwer muss für diese Einrichtungen zahlen. Das gilt im Übrigen für alle Leistungen, die großzügig – nicht nur von Herrn Schulz – aus dem politischen Raum versprochen werden. Denn das Dumme: Der Staat hat kein Geld, das er verteilen kann. Er muss es immer erst irgendwem nehmen, um es anderen geben zu können. Gut, die verantwortlichen Politiker könnten staatliches Eigentum versilbern, aber: weg ist weg. Danach bleibt wieder nur Umverteilung zur Finanzierung selbst der löblichsten Projekte.

Abschließend stellt Herr Schulz fest: „Es geht um unsere gemeinsame Zukunft“. Wen adressiert er schon wieder mit „unsere“. Mich!? Ob ich allerdings mit ihm eine „gemeinsame Zukunft“ sehe, will er nicht wissen. Ich würde mir jedenfalls nicht anmaßen, seine Zukunft gestalten zu wollen, wie er es in seinem Werbebrief am Ende androht. Ich fände es schon mehr als ausreichend, wenn – wiederum: nicht nur vom SPD-Kanzlerkandidaten – Politik so verstanden würde, dass ich meine Zukunft selber halbwegs geordnet in Angriff nehmen könnte. Gestalten kann und will ich lieber in Eigenregie.

„Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenheiten, sondern gib mir so viel Freiheit und lass mir von dem Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu gestalten in der Lage bin.“
Ludwig Erhard 1955

Alles nur Wahlkampf? Aber auch diese Anzeige muss bezahlt werden, beispielsweise aus Mitteln der Wahlkampf-Kostenerstattung. Die wiederum muss aufgebracht werden von … lassen wir das.

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