Was ist das jetzt, wenn man sich per App bei Uber oder sonstwo ein Privat-Taxi bestellt: Eine Errungenschaft der Share-Ökonomie, in der man sich Dinge wie Autos teilt – oder ein Anschlag auf die Rechte von Arbeitnehmern? Jetzt wurden Uber-Taxis bundesweit verboten – ein trauriger Triumph der Taxi-Lobby gegen Konsumenten und technische Entwicklung. Klinkt sich Deutschland aus der Online-Welt aus? Das wäre lachhaft und ist unmöglich, denn das Internet ist überall.

Bin ich ein Ausbeuter, wenn ich privat übernachte – zu einem Bruchteil des Preises von Hotels, indem dann Portier und Zimmermädchen in die Röhre schauen? Bin ich ein Avantgardist der Sozialen Netzwerke, wenn ich mir eine Friseuse per App suche, – oder aber ein Sozial-Schwein, weil es faktisch Schwarzarbeit ist, bezahlt unterhalb des Mindestlohns?
Mit Hilfe mobiler Kommunikation entstehen neue, entgrenzte Märkte jenseits von Regulierung, Steuer- und Sozialstaat – ein ungebändigter KAppitalismus.

One-Man-Show statt Big Business

Dabei geht es erst richtig los mit der Share-Ökonomie; Taxis und Hotels sind erst der Anfang. Und so geraten nicht nur Branchen unter Druck, sondern auch organisierte Arbeitnehmer, Gewerkschaften und der Staat: Denn Regulierung lässt sich in der flüchtigen Welt der virtuellen Share-Ökonomie nicht mehr durchsetzen und Steuern nur noch schwer eintreiben. Die neuen Anbieter sind One-Man-Shows, ohne Betriebsrat und Gewerkschaft, ohne Tarifbindung und staatlicher durchgesetzter Sozialstandards – und ohne Zuhälter.

Der „Economist“ schwärmte kürzlich vom befreiten Aufschwung, den Prostitution nimmt, seit sich Sexarbeiterinnen mittels Dating-Apps wie dem Berliner Start-up Peppr aus dem Schmuddel- und Kriminalitätsniveau befreien und ihren Körper an jedem Ort und zu jeder Zeit anbieten; bewertet und beurteilt von früheren Kunden. Sperrbezirke, Zuhälter und Rotlichtviertel als Orte, wo sich Angebot und Nachfrage treffen, verlieren ihre Funktion. Bald geht es auch bieder: Wenn erst begabte Bastler ihre Feierabenddienste anbieten, wird auch das professionelle Handwerk zumindest den einfacheren Teil seines Leistungsspektrums an die neue Konkurrenz verlieren, die ihre Leistungen auf geeigneten Plattformen anbietet. Das wäre das Ende der Zunftordnung, die sich in Deutschland seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart gerettet hat. Der Handel ist ohnehin schon auf der Verliererstraße: Angebot und Nachfrage finden nicht mehr im Ladenlokal zueinander, sondern in den virtuellen Schaufenstern. Oliver Samwer, einer der begabtesten und aggressivsten Internet-Unternehmer, verspottet den Handel ohnehin als ein überkommenes Relikt des Mittelalters: Wer quält sich noch durch die Fußgängerzone, wenn das Gewünschte nur einen Mausklick entfernt liegt und auch noch ins Haus geliefert wird? Aber mit den Geschäftsmodellen verlieren auch Regulierung und Besteuerung an Gestaltungskraft – und dieser Vorgang ändert die Gesellschaft noch dramatischer, als ein paar Läden, die mangels Kundschaft geschlossen werden. Es geht ans Eingemachte des Sozialstaats.

Der KAppitalismus steht im Konflikt mit Sozialstaat, Steuern und Gewerkschaften – und wird unsere Gesellschaft verändern.

Wer appt, spart Steuern

Der amtlich geprüfte Taxifahrer kassiert bei seinem Kunden Mehrwertsteuer ab und stellt Rechnungsbelege aus; Er benötigt eine Fahrgast-Versicherung, Gewerbeschein und/oder Sozialversicherung und unbedingt einen amtlichen „Personenbeförderungsschein“, den er nur nach Ortskunde-Nachweis erhält. Abgesehen davon, dass die bescheinigte Ortskenntnis oft ohnehin nur auf dem Papier steht – im Jahrhundert des Navi ist sie ohnehin „eh n Witz“, so Justus Haucap, Mitglied der Monopolkommission und Wettbewerbsrechtler.
So lange Uber-Fahrer nur gelegentlich Kunden mitnehmen, kutschieren sie steuerfrei; schon von daher fahren Uber-Kunden um fast 20 Prozent billiger. Nun sollte die alte Regulierung Kunden davor schützen, sich einem völlig unfähigen Anbieter ausliefern zu müssen. Doch Vermittlungs-Apps von Prostitution bis Taxi oder Handwerk funktionieren immer auch mit Rankings und Kundenbewertung. Die ist nicht immer objektiv – aber im Zweifelsfall als Qualitätsnachweis zuverlässiger als eine erschlichene Taxi-Befähigung oder eine Jahrzehnte zurückliegende Meisterprüfung im Handwerk. Die neue Qualitätssicherung per App kann auch den großen Befähigungsnachweise im Handwerk ersetzen – wer pfuscht, fliegt auf.hon mal ein Erfolg.

Kein Raum für Gewerkschaften

Und der Fiskus bleibt ausgesperrt. Wer Gäste auf der Wohnzimmercouch oder im Gästezimmer zum Liegen bringt, braucht eine Betriebsprüfung kaum fürchten, denn hinter die Wohnungstür kann das Finanzamt kaum schielen. Vor allem: Mutti droht nach Bettenmachen und Frühstücksgeschirrabwasch Vati nicht mit dem Betriebsrat oder Tarifvertrag. In der neuen Share-Ökonomie entstehen viele neue Selbständige; unmöglich zu kontrollieren, schwer zu regulieren, zu besteuern oder sonst wie behördlich zu schikanieren. In Berlin, wo diese Art der Untervermietung mittlerweile verboten ist, setzt der Staat auf Nachbarn, die ihre Wohnungsnachbarn kontrollieren und verpfeifen, wenn zuviel Koffer durch den Hausflur rollen. Aber wirklich effizient wird die Wiederentdeckung des Denunzianten und Blockwarts nicht funktionieren. Und während Hotels eine Unzahl von Regularien erfüllen müssen – in der Wohnung fehlen amtlich kartographierte Fluchtwege und Notausgänge. Damit sinken die Preise ins Bodenlose. Das hat nicht nur Vorteile. Der Übergang zu Selbstausbeutung und zur Schwarzarbeit ist fließend. Für den Sozialstaat ist diese Art Geschäft keine Finanzierungsquelle.

Marktmacht, Markenversprechen, Marketing: alles perdu

Freilich gab es Privat-Zimmer und Mini-Pensionen schon immer. Neu ist aber, dass das Ein-Bett-Hotel heute per App ebenso leicht auffindbar ist wie das 500-Zimmer-Hotel. Die explosionsartige Verbreitung von Information und Findbarkeit zerstört den Vorsprung großer Anbieter: Früher fragte nach Hilton, wer ein Hotel suchte; heute findet man Oma Hempel`s Bed&Breaktfast ebenso schnell. Die neue Informationsökonomie und die elektronischen Vermarktungsmöglichkeiten hebeln Marktmacht, Markenversprechen wie Marketingstrategien der großen Anbieter aus.

Das ist eine entscheidende Veränderung, deren Auswirkungen noch nicht gedacht und kaum untersucht sind. Die Big Player, Staat, Gewerkschaften, Konzerne geraten unter Druck. Dabei hatten sie es sich so schon eingerichtet untereinander in den vergangenen Jahrzehnten.

Kein Wunder, dass das etablierte, besteuerte und regulierte Gewerbe vor Wut schäumt über die neuen Billiganbieter. Und genau hier liegt der Punkt, an dem das Ganze kippt: Mit Regulierung wurden bislang Branchen wie das Taxi-Gewerbe vor Konkurrenz geschützt – aber eben jene Regulierung verteuert die Produktion, treibt die Kosten. Die neue Konkurrenz räumt am leichtesten und schnellsten da ab, wo die jeweiligen Standards an Regulierung, Löhnen und gepflegten Arbeitsbedingungen am höchsten, sprich: aus der Sicht des Kunden am teuersten sind. Ein neuer Raum von unkontrolliertem Kleinkapitalismus öffnet sich. Jede Menge neuer Anbieter und Selbständiger treten an, deren Angebot bisher nicht auffindbar gewesen oder deren Qualitätsniveau nicht nachprüfbar war.
Kein Wunder auch, dass DGB-Chef Reiner Hoffmann in einem lesenswerten SPIEGEL-Interview (34/2014) über „neue Formen der Ausbeutung“ schäumt und die Politik dazu veranlassen will, dass „Kündigungsschutz, Mindestlöhne, Arbeitsschutz- und Arbeitszeitregeln auch für die neuen digitalen Angebote“ verpflichtend werden. Aber wenn Hoffmann von „moderner Sklaverei“ spricht, übersieht er, dass es gerade die weniger Gutverdienenden sind, die sich nebenher als Fahrer oder Mini-Hotelier, vielleicht als Heim-Friseurin oder Privat-Klempner einen schnellen Euro verdienen – ganz ohne Sozialabgaben und Steuern, brutto für netto. Da mag man lange über die Vorzüge des Sozial- und Steuerstaates reden – am Ende zählt der Preis.

Neue Grenzen für Staat und Konzerne

Das kann man jetzt alles noch sehr theoretisch untersuchen. Nach der “transaction cost theory” von Ronald Coase (Coase 1937: The Nature of the Firm) existieren Unternehmen nur, weil es billiger ist, Angestellte zu beschäftigen als jeden Tag auf´s Neue deren Können einzukaufen. Coase gilt weiter; nur wird es in manchen Fällen billiger, sich per App zusammenzufinden, statt feste Arbeitsverhältnisse anzubieten. Im übrigen gibt es ja eine ideologische Vorliebe für „Small is Beautiful“. Aber klar ist auch: Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte sowie ein allmächtiger Staat, gehen am besten mit großen Unternehmen zusammen. Viele Kleine entziehen sich dem Sozial-, Steuer- und Gewerkschaftsstaat des 20. Jahrhunderts. Das haben sich auch die Apologeten von “Small is Beautiful” anders vorgestellt, irgendwie solidarischer. Aber Solidarität ist im unendlichen Raum des Virtuellen kein Wert; Solidarität ist an persönliche Beziehung gebunden. Gerade die aber löst sich auf und wird ersetzt durch eine auf’s Ökonomische reduzierte App-Beziehung.

Allerdings stellt das wenigstens einen Teil der Wirtschaftswelt auf den Kopf.
Neuerdings können kleinste Unternehmen wieder einen wachsenden Raum ausfüllen und die Allmacht großer Unternehmen wenigstens an den Rändern begrenzen – aber was heißt Ränder? Verlage, einst Giganten der Informationsverarbeitung, schrumpfen, weil Blogs ganz ohne große Druck- und Vertriebsapparate auskommen; Hotelketten fürchten Einzelzimmer-Anbieter; Ubers Börsenwert übersteigt längst den von Avis und Hertz mit ihren Mietwagenflotten. DER SPIEGEL nennt das den „kalifornischen Kapitalismus“. Besser ist der hier verwandte Begriff KAppitalismus, weil er auf den Verursacher verweißt.
Denn der neue KAppitalismus ist die technisch ermöglichte Wiedergeburt eines urwüchsigen Mini-Kapitalismus, der umso leichter da wuchern kann, wo Staat, Regulierung und Zwangsabgaben besonders belastend sind. Der KAppitalismus wird den überregulierten Sozialstaat, seine Mammutbehörden und seine Geldgier nicht abschaffen. Aber er begrenzt das Wachstum von Big Government und Abgabenbelastung. Das wäre ja schon mal ein Erfolg.

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