Die landauf, landab geäußerte Kritik an der Globalisierung der Wirtschaft, die sich über den weltweiten Güteraustausch, den internationalen Kapitalverkehr und die grenzüberschreitenden Arbeitskräftewanderungen vollzieht, ist nicht neu. In den 1990er Jahren gab es schon einmal eine solche, emotionsgeladene Welle. Aber anders als damals haben heute die Regierungen Mühe, vor dem Lärm auf der Straße nicht einzuknicken. Regierungen und Parlamentarier in der Europäischen Union schreckt offenbar die druckvolle Antiglobalisierungsbewegung, getragen von Politikern mit Hang zum Populismus, Anhängern kapitalismuskritischer Netzwerke, verunsicherten Gewerkschaftlern, besorgten Funktionären in den Sozialverbänden,  den stets umtriebigen Verbraucher- und Umweltschützern, ranghohen Kirchenführern mit Distanz zur Marktwirtschaft sowie interessengeleiteten Organisationen (Agrarlobby, Kulturbranche u.a.). Dieser unheilvollen Gesinnungsallianz zugehörig wähnen dürfen sich die britischen Befürworter eines Brexit unter den nationalistischen und xenophobischen Attitüden ihrer politischen Wortführer, und so auch der frisch gewählte US-Präsident, wenn er wahr macht, was er während des Wahlkampfes an handelsprotektionistischen Plänen („America First“) verkündet hat.

Aus der Protestwelle schallt es lautstark, dass die Globalisierung beispielsweise

  • nationale Souveränitätsrechte einschränke und den Staat ohne ausreichende Handlungs- und Gestaltungsspielräume belasse („Diktat“ der Finanzmärkte und internationalen Konzerne),
  • einen ruinösen Steuerwettbewerb nach unten in Gang setze, der eine Unterversorgung mit öffentlichen Dienstleistungen, die wirtschaftliche Infrastruktur eingeschlossen, bewirke,
  • die Löhne drücke und zunehmend Arbeitslosigkeit verursache,
  • sozialpolitische Errungenschaften aufweiche (Stichwort: „Sozialdumping“) und dadurch das Armutsrisiko in der Bevölkerung erhöhe,
  • die hohen Verbraucherstandards verwässere (Stichwort: Gentechnik) und Gefahren für die Gesundheit erzeuge,
  • dem „Ökodumping“ Tür und Tor öffne.

Ignorante Globalisierungskritiker

Globalisierungsnachteile, wo man hinschaut? – Es mag ja sein, dass mancher liebgewonnene Besitzstand gefährdet ist. Aber unumstritten ist, dass wir trotz dieses Schreckszenarios in den Industrieländern ein ordentliches Wachstum, viel Beschäftigung, rundum gesunde Verbraucher mit beachtlichem Umweltbewusstsein und einen funktionierenden Sozialstaat haben.

Die Globalisierungsgegner schüren in der Bevölkerung Ängste und Misstrauen gegen Markt, Wettbewerb und Freihandel ohne belastbare empirische Belege für ihre Behauptungen vorzulegen oder wenigstens zu prüfen, ob für beklagte Fehlentwicklungen, die es durchaus gibt, nicht ganz andere Faktoren ursächlich sind. Selbst in einem – wie die TTIP- und CETA-Debatten zeigen – politisch hochsensiblen Bereich, wie den internationalen Investitionsschutzabkommen samt Schiedsgerichtsbarkeit, ist die Welt eine andere, als von den Globalisierungskritikern beschrieben: Bei Streitfällen entscheiden die Richter eben nicht systematisch zugunsten klagender Auslandsinvestoren (Konzerne), sondern geben meist dem beklagten Staat Recht.

Das lässt die Kritiker indes kalt. In das ihnen zustehende demokratische Recht auf Meinungsfreiheit schließen sie einfach das Deutungsmonopol von Fakten ein, bis hin zum Verbiegen oder Ignorieren der Realität. Auf Fachkenntnisse in Ökonomie kommt es ihnen nicht an – viele Aktivisten haben überhaupt keine. Sie schimpfen lieber über den Neoliberalismus – ein inzwischen etablierter Kampfbegriff, mit dem sich gegen alles, was wirtschaftlich und politisch unliebsam ist, in der Öffentlichkeit trefflich Stimmung machen lässt, weil man ja nicht wissen muss, was Neoliberalismus ordnungspolitisch wirklich heißt und welche seine wissenschaftlichen Wurzeln sind.

Wirtschaftliches Wachstum mit einem hohen Beschäftigungsgrad geht immer mit einem gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel einher, bei dem zwar alte, unrentabel gewordene Arbeitsplätze abgebaut werden, aber viele neue, zukunftsträchtige Jobs entstehen. Ökonomen sprechen von der Wachstumskraft der von dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter so benannten Prozesse „schöpferischer Zerstörung“. Der globalisierte Wettbewerb war und ist ein Treiber dieser Prozesse, aber nicht der einzige und auch nicht der wichtigste. Viel wichtiger sind Veränderungen der Nachfrage und der technische Fortschritt, wie aktuell die Digitalisierung, die selbst traditionell beständige Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet.

Im globalen Wettbewerb muss man die eigenen Vorteile nutzen

Vielerorts wurde auf die negativen Beschäftigungswirkungen der weltweiten Finanzkrise 2007/08 und der anschließenden Rezession 2009 politisch reflexhaft und ohne Nachdenken reagiert: nämlich mit verstärkten Handels- und Kapitalverkehrsbeschränkungen. Die um sich greifenden regionalen und bilateralen Freihandelsabkommen, die von den WTO-Prinzipien der Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung wegführen, fragmentieren den Welthandel zusätzlich. Der Internationale Währungsfonds (World Economic Outlook, Oktober 2016, 2. Kapitel) sieht hierin zu Recht eine wichtige Ursache dafür, dass der Welthandel seine einstige Dynamik verloren hat und mitunter sogar langsamer expandiert, als die weltweite Produktion wächst. Dies bedeutet, dass das Tempo der Globalisierung abnimmt und die internationale Arbeitsteilung zurückgeht.

Es entspricht den grundlegenden Lehren der Außenwirtschaftstheorie und aller empirischen Erfahrung, dass eine Volkswirtschaft im weltweiten Wettbewerb am besten im Sinne von Wachstums- und Beschäftigungschancen fährt, wenn in der Produktion von Gütern und wirtschaftsnahen Dienstleistungen eine Spezialisierung nach Maßgabe der komparativen Kostenvorteile stattfindet, wie sie sich aus der relativen Faktorausstattung ergeben. In Deutschland und den anderen Industriestaaten sind diese Vorteile im Bereich forschungs-, wissens- und kapitalintensiver Güter sowie umweltfreundlicher Produkte aufzusuchen. Vom globalen Wettbewerb nachteilig betroffen sind infolgedessen jene Arbeitskräfte im außenwirtschaftlichen Bereich der Volkswirtschaft, die keine, nur eine niedrige oder eine falsche Qualifikation haben und eine Entlohnung erhalten oder begehren, die gemessen an ihrer Produktivität zu hoch ist. Das war schon immer so und ist übrigens in der Binnenwirtschaft nicht anders. Deshalb hält bekanntlich der Staat für solche Situationen ein großes Bündel an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Unterstützungsleistungen bereit, die strukturelle Anpassungen erleichtern sollen.

Zu hohe Löhne für Gering- und Falschqualifizierte

Im globalisierten Wettbewerb wird einfache und fehlspezialisierte Arbeit entweder durch die Importkonkurrenz aus Niedriglohnländern, in denen das Arbeitsangebot nahezu vollkommen elastisch ist, direkt verdrängt – auch mithilfe der Globalisierungskritiker, die selbst die billigeren Produkte kaufen (sic!) –, oder sie wird von den Unternehmen im Inland wegrationalisiert bzw. ins kostengünstigere Ausland verlagert. Die Arbeitsuchenden in den ärmeren Ländern freuen sich. Dass dies die im Globalisierungsprozess negativ Betroffenen hierzulande nicht interessiert, ist nachvollziehbar. Aber das Problem bei uns ist nicht in erster Linie der globale Wettbewerb, auch nicht ein vermeintliches „Lohndumping“ von Chinesen und anderen. Das eigentliche Problem sind die zu hohen Löhne und Lohnnebenkosten für Gering- und Falschqualifizierte in den Industrieländern, deren Beschäftigungsfähigkeit wegen der geringen Produktivität ohnehin beschränkt ist, was aber die – auch deutschen – Gewerkschaften nicht davon abhält, in Tarifrunden aus vermeintlich sozialen Gründen besonders diese leicht substituierbare Arbeit für die Unternehmen zu verteuern. Flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne, die wie vor allem in Frankreich überzogen sind, erschweren den Erhalt einfacher Arbeitsplätze ebenfalls, zum Nachteil besonders der Jugendlichen, wie empirische Studien zeigen.

Das A und O eines erfolgreichen Bestehens im globalisierten Wettbewerb ist die Attraktivität des Landes als Investitions- und Produktionsstandort. Deshalb ist eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die konsequent die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen pflegt, so wichtig. Zu denken ist insbesondere

  • an eine leistungsfähige Infrastruktur,
  • an eine behutsame Steuerbelastung von unternehmerischen Investitionen und pro Arbeitsplatz,
  • an die Zurückhaltung des Staates bei Interventionen in die Märkte,
  • an ein effizientes Bildungswesen mit hochqualitativen Leistungen in den allgemeinbildenden Schulen und den Hochschulen (besonders in den MINT-Fächern und bei Fremdsprachen) und in den Unternehmen mit einer zielführenden beruflichen Ausbildung von Jugendlichen und einer vorausschauenden Weiterbildung der Belegschaften.

Intelligente Globalisierungskritik hätte diese Themen auf der Agenda.

Die Teilnahme am globalen Wettbewerb ist ohne sinnvolle Alternative

Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass alles besser wäre, wenn wir uns aus der Globalisierung einfach ausklinken würden. Über Jahrzehnte hinweg sind alle Maßnahmen der jeweiligen Regierungen, mit denen unrentable Unternehmen und strukturschwache Branchen vor der Auslandskonkurrenz geschützt werden sollten, gescheitert; sie haben in der Volkswirtschaft nur Schaden angerichtet. Das sollten die Globalisierungskritiker bedenken. Es gibt zum Wettbewerb in der Weltwirtschaft, und sei er auch noch so scharf, keine sinnvolle Alternative – in einer freiheitlichen Ordnung, wohlgemerkt. Denn die Schwellen- und Entwicklungsländer werden in ihrem Bestreben, wirtschaftlich weiter aufzuholen und so die Armut im eigenen Lande kontinuierlich zurückzudrängen, bestimmt nicht nachlassen, was jedermann schon aus ethischen Gründen gutheißen sollte. Wir sind in den Industrieländern durchaus in der Lage, die Herausforderungen, die von außen auf uns zukommen, zu meistern – und zwar offensiv mit einer guten Wirtschaftspolitik der Regierungen, einer anhaltenden Innovationsdynamik in den Unternehmen, einer entschlossenen Ausbildungsbereitschaft bei den Lernenden, einem starken Qualifizierungswillen bei den Arbeitnehmern und allenthalben mit viel Eigenverantwortung und Selbstinitiativen.

Der Autor des Beitrags, Professor em. Dr. Juergen B. Donges, ist ehemaliger Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln.

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